„Es geht darum, das Zusammenspiel von Wirtschaft und Forschung voranzutreiben“
Interview mit Dr. Christina Würthner, Chief Financial & Strategy Officer von enersis suisse ag.
Kannst du ein wenig von dir erzählen und davon, was ihr bei enersis so macht?
Thomas Koller, der Gründer von enersis, und ich kennen uns schon seit langem. Bei enersis bin ich seit 2014 dabei. Wir machen Visual Energy Analytics: Das umfasst einerseits Analytics, Big Data und AI im Bereich Energie, andererseits visualisieren wir das Ganze auch. Was bisher klassische IT- und Strategieberater gemacht haben, packen wir in digitale Plattformen, die Energieversorger oder Städte nutzen können.
Wie habt ihr die Finanzierung gemeistert?
Die Herausforderung dabei war, dass die Schweizer Energiebranche nicht den grossen Druck hat, was die Digitalisierung und grundsätzlich neue Geschäftsmodelle angeht. Zweitens ist die Energiebranche an sich und überall auf der Welt sehr konservativ. Wir haben uns zur Vorgabe gemacht, dass wir nicht nur Geld möchten, sondern Investoren finden, die uns wirklich helfen, im Markt voranzukommen. Für die A-Runde war sicher ein unterstützender Faktor, dass der Eigentümer des beteiligten VC Unternehmens und ich an der gleichen Universität studiert haben, es gab also im Erstgespräch Anknüpfungspunkte. Sirius managt den Smart Energy Innovationsfonds, welcher letztlich dann bei uns investiert hat.
Wie gross war eure Finanzierungsrunde?
Seed- und A-Runde waren zusammen in der Grössenordnung von mehr als zwei Millionen Franken.
Wie hast du den Fundraising-Prozess wahrgenommen?
Teilweise mühsam. Wir konnten erste Piloten, ein Proof of Concept und erste Umsätze vorweisen. Trotzdem gab es wenig unternehmerische oder technische Diskussionen, sondern es waren eben mühsame Diskussionen darüber, was das Ganze eigentlich grundsätzlich soll. In manchen Diskussionen hatte ich auch den Eindruck, dass es den Investoren am Knowhow fehlte, was es heisst in ein IT-Startup in der Energiebranche zu investieren. Es hat entsprechend viel Zeit gebraucht, den richtigen Investor zu finden. Im Vergleich zu unseren amerikanischen Konkurrenten sind wir zurzeit zwar technisch besser, verfügen aber über weit weniger Investment und können daher nicht so klotzen wie sie. Das ist schade, denn so könnte uns ein klarer Wettbewerbsvorteil über Zeit abhanden kommen, gerade im internationalen Wettbewerb.
Ihr seid zurzeit in einer Wachstumsphase als Firma. Wie findet ihr euer IT-Talent?
Es ist eine grosse Herausforderung, Arbeitsplätze bei enersis in der Schweiz zu besetzen. Teils liegt das daran, dass Abgängerinnen und Abgänger der ETH oder EPFL sich entweder selbständig machen, forschungsnah sind oder lieber bei etwas Grossem mitarbeiten wollen.
In Deutschland erhalten wir wenigstens Bewerbungen und können ein bisschen aussuchen, aber hier in der Schweiz an unserem Hauptsitz in Bern ist es schon schwierig. Die grossen Player wie Swisscom, Post und SBB ziehen bereits sehr viele Leute ab und halten die Löhne hoch. Auch von der Universitätslandschaft her ist Bern nicht ganz auf die Energie- bzw IT-Branche ausgelegt. Auf der anderen Seite haben wir festgestellt, wenn die Leute aus der Region kommen, sind sie auch engagiert. Wir möchten an diesem Standort festhalten, weil wir glauben, dass wir im Thema Energie prädestiniert sind für die Schweiz und vorne dabei sind.
Seid ihr für eure nächste Finanzierungsrunde auf der Suche nach Schweizer oder internationalen Investoren?
Eher international, vor allem auch aus Frankreich, weil wir das Land durchaus auch als interessanten Markt sehen. Einerseits gibt es dort wirklich gute und fokussierte VCs im Energiebereich. Andererseits passiert in Frankreich im Bereich CO2-Management und in den Städten relativ viel. Auch haben wir gerade angefangen, zu evaluieren, ob es nicht doch sinnvoll ist, im Silicon Valley präsent zu sein. Ich war vor 1,5 Jahren im Silicon Valley, und ich muss schon sagen, es ist ein anderer Spirit dort: weniger abwägen und mehr “let’s do it.”
Wo gibt es aus deiner Sicht in der Schweiz Stolpersteine für Start-ups?
Das Thema Aktien ist hier nicht sehr attraktiv, und die Steuerthematik spielt natürlich auch eine Rolle. Man muss da ziemlich viel Energie reinstecken, damit nachher nicht der grosse Bumerang kommt. Und noch ein Thema aus Mitarbeiter- und Gründersicht, das uns nicht unbedingt betrifft: Wenn ein Unternehmen doch nicht erfolgreich ist, bekommt der Gründer keine AHV.. Zudem erschweren die Vorgaben des Seco teilweise unsere Arbeit zwischen unseren Standorten in Bern und Berlin. Wir wollen den internationalen Austausch von unseren Mitarbeitenden fördern – SECO Vorgaben für Mindestlöhne bei Kurzzeitentsendungen sowie die Kontingentierung von Reisen der deutschen Mitarbeiter helfen einem Startup nicht unbedingt. Anscheinend sind wir nicht die ersten mit diesem Problem. Dass diese Dinge nicht geändert werden, ist ärgerlich.
Du sagst aber schon grundsätzlich, auch wenn die Rahmenbedingungen besser sein könnten, ihr würdet nochmal in der Schweiz gründen, weil euer Thema hier ist.
Ja. Wenn wir heute nochmal zwischen Deutschland und der Schweiz wählen würden, würden wir aus Gründersicht definitiv die Schweiz wählen, weil man hier keine Kapitalsteuer auf Gewinne aus Unternehmensverkäufen zahlen muss. Das ist sehr attraktiv. Grundsätzlich denke ich, sind die Rahmenbedingungen hier nicht so schlecht. Es ist eher so, dass die Risikoaversität relativ gross ist, gerade in diesem kritischen „Death Valley“, also in der Phase, in der es darum geht, den Proof of Concept voranzubringen und das Geschäftsmodell zu skalieren.
Was ist denn deine Vision für enersis? Wenn ihr das Investment bekommt, in welche Richtung geht es?
Wir wollen internationaler werden und im nächsten Jahr in Europa oder sonstwo auf der Welt einen weiteren enersis-Standort haben. Ich tendiere zu Frankreich, weil der Staat dort Start-ups sehr stark fördert, die Stimmung gerade sehr positiv ist und man im dortigen Markt verankert sein muss, um Aufträge zu bekommen. Zudem wollen wir natürlich unser Lösung GRIDS weiterentwickeln, insbesondere in den Themenbereichen AI und Data Science.
Das Endziel wäre dann mal der Börsengang?
Ich gehe von Verkauf aus. Für den Börsengang ist das Thema zu klein.
Was sollte die Schweiz anpacken, damit es für Jungunternehmen besser und effizienter wachsen können?
Weniger Worte, mehr Taten! In vielen Bereichen sollten wir neue Ansätze und Ideen “einfach mal ausprobieren.” Man sollte beispielsweise einen Zukunftsfonds einfach mal aufsetzen, statt seit Jahren darüber zu debattieren. Oder man könnte sich als Energiebranche auch stärker zusammenschliessen und gemeinsam ein paar Pilotprojekte umsetzen, die dann international ausgerollt werden können. Zudem wäre es hilfreich, wenn wir Plattformen für einen besseren Austausch zwischen Start-ups schaffen würden. Es war beispielsweise anfangs Jahr die europaweit grösste Messe im Energiebereich, und wir hatten alle unsere Stände irgendwo, sind aber nie zusammengesessen. Dabei könnten wir mehr erreichen, wenn wir unsere Stärken bündeln würden.