Interview mit Andreas Guggenbühl, Co-Founder und CEO von Selfnation (RealLook AG).
Wer ist Selfnation und was macht ihr?
Selfnation möchte den einfachsten Weg erschaffen, wie eine Kundin oder ein Kunde zu einer gut sitzenden Jeans kommt. Wir lösen das mit On-demand-Fertigung, verbinden dazu Technologie mit Fashion und verwenden automatisierte Fertigungsprozesse. So können wir nachhaltig ein lokal produziertes Produkt, das super passt, zu einem guten Preis herstellen.
Wie alt seid ihr und wie viele Mitarbeiter habt ihr?
Wir sind 4,5 Jahre alt und beschäftigen 14 Mitarbeitende in der Schweiz und rund drei Personen in Berlin. Wir haben 10’000 Kundinnen und Kunden und verkaufen hauptsächlich in der Schweiz und in Nordeuropa.
Du hast dich vor etwas mehr als einem Jahr im Tagesanzeiger zu den Standorten Berlin und Schweiz geäussert. Wie stehst du heute dazu und was hat sich seit damals geändert?
Ich habe nicht gespürt, dass sich etwas ändert. Das kann ja auch positiv sein: Wenn man weiss, dass sich nichts ändert, kann man gut kalkulieren. Das ist ja auch eine der Stärken der Schweiz. Bis auf die Steuerproblematik in Zürich habe ich nichts in Erfahrung gebracht, wonach sich etwas Spezielles geändert hat – weder im Positiven, noch im Negativen.
Du hast jetzt den Sprung geschafft von der Seed-Finanzierung in die Wachstumsphase. Wie war das Fundraising in der Schweiz für diesen Schritt?
Es war ziemlich schwierig, weil es wenig Gefässe in der Schweiz gibt, auf die man zugehen kann und wo einem gesagt wird, wenn ihr dies und jenes könnt, unterstützen wir euch mit einem bestimmten Betrag, oder wenn ihr dies und jenes erreicht, geben wir z.B. ein Drittel dazu. Für uns war vor allem das Coaching vom Institut für Jungunternehmen ein wichtiger Teil unserer frühen Firmenentwicklung. Wir haben ein Netzwerk von Investoren aufbauen können, die grosse Branchenkenner sind. Sie sind im E-Commerce tätig, in der Fashion und in Unternehmen mit grenzüberschreitendem Konsumgüterverkehr. Sie haben unser Geschäftsmodell verstanden und darum darin investiert. Insgesamt war es uns möglich, die Finanzierung sicherzustellen, aber es war schwierig, und wir sind sehr dankbar, dass wir so gute Investoren gefunden haben. Aktuell sind wir in der Series A/B-Phase.
Steht wieder eine Finanzierungsrunde an, oder ist gerade keine weitere Finanzierung geplant? Das ist ja die eigentlich spannende Phase für die Frage, ob es in der Schweiz wirklich so schwierig ist, eine Series B zu finanzieren – gerade ausserhalb des Pharma- und Life Sciences-Bereichs. Findet man diese Investoren in der Schweiz oder eher im Ausland?
Ja, wir sind jetzt gerade in einer Finanzierungsrunde, wobei zwei Drittel bereits beisammen ist. Würde es aber auf eine grössere Finanzierungsrunde zugehen, habe ich sehr viel mehr Kontakte mit Nicht-Schweizer-Organisationen, die daran interessiert sind.
Woran liegt das, was meinst du? Die Schweiz ist ja sonst ein eher vermögendes Land.
Ich weiss es nicht genau, das ist nicht mein Metier. Man könnte aber auch sagen, das sei nicht so schlimm, weil wir sehr vernetzt mit dem Ausland seien. Aber es ist schade, dass die Schweiz hier nicht mehr selbst macht. Meistens sind es spezielle Gründe, warum in einzelnen Ländern mehr zu Verfügung steht, z.B. die rechtlichen Rahmenbedingungen aufseiten von Pensionskassen und Investoren. Das ganze Stiftungswesen in der Schweiz gibt es ja nicht nur, weil es hier viele gute Menschen hat, sondern dafür gibt es andere Gründe. Die rechtlichen Rahmenbedingungen steuern also, wie am Schluss investiert wird. Am Ende dieser Reihe stehen dann die Unternehmen.
Wie stehst du zum Standort Schweiz? Du hast gesagt, Berlin sei durchaus auch ein Thema, ihr seid zum Teil bereits dort. Wie schätzt du die Standortwahl ein?
Ich glaube, Berlin hat schon den Vorteil, dass es wie ein kleines Silicon Valley ist: sehr viele unterschiedliche Unternehmen, die einen äusserst intensiven Austausch pflegen. Sie bekommen von behördlicher Seite sehr viel Goodwill; es gibt so etwas wie ein Feuer. So wie Menschen Freude an einem Fussballclub haben, haben sie in Berlin Freude an Start-ups, und es kommt dort etwas in Gang, im Gegensatz zur Schweiz mit ihrer Bescheidenheit und Zurückhaltung. Jungunternehmen brauchen aber ein unterstützendes Umfeld, weil es zu Beginn doch sehr schwierig ist. Das motiviert gut ausgebildete Menschen, etwas Neues zu versuchen, unabhängig davon, ob als Gründer oder Teammitglied, anstatt einen sicheren Job anzunehmen bei einer Bank oder in der Pharmabranche. Diesen Spirit vermisse ich ein wenig in der Schweiz.
Gibt es andere Themen rund um Start-ups und Politik, bei denen du den Eindruck hast, da müsste man etwas unternehmen?
Ja, definitiv. Das Schönste in der Schweiz ist die sehr gute Ausbildung. Sie kostet zwar extrem viel, dieses Geld ist aber bestens investiert. Damit ist die Wirtschaft einverstanden. Es ist jedoch so, dass die ETH zwar junge Menschen top ausbildet. Sie oder andere Institutionen sollten aber die Gelegenheit nutzen, gründungswillige Abgänger beim Umsetzen einer wirtschaftlichen Idee zu unterstützen. Ich denke so erhöht man die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste Google in der Schweiz entsteht.
Es fehlt also der ganze Bereich, um ein Start-up aufzubauen?
Nein, es gibt einige Institutionen, die helfen mit Coaching. Will man aber ein Unternehmen gründen und hat zum Beispiel weitere rechtliche Fragen, dann legt man schnell ein paar Tausend Franken auf den Tisch nur für Rechtsberatung, ausser man hat einen Götti, der Anwalt ist. Zusätzlich zur Förderung des Wissens müsste es deshalb auch eine Förderung geben, wie man Wissen in ein wertschöpfungsgenerierendes Vorhaben umwandelt. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass der Unternehmer ab Tag eins merkt, dass er den grössten Teil dazu beitragen muss, dass das Unternehmen zum Laufen kommt. Aber das heisst ja nicht, dass man ihm nicht irgendwie helfen kann mit subventionierten Anwaltsleistungen, günstigen Büroräumlichkeiten, etc. Manchmal sind es kleine Dinge, die entscheiden, ob man abhebt. Ich denke ein wenig mehr Subvention ins Gründertum ist nachhaltiger eingesetzt, als in Wein oder anderswo.
Gibt es noch andere kleine Dinge, welche die Schweiz anpacken könnte?
Ja. Die Schweizer Hochschulen haben zusammen sicher Millionen Quadratmeter Fläche für die Lehre. Doch wie viele Fläche gibt es, um darin zu experimentieren, um ein Unternehmen gründen zu können? Das wäre eine gute Sache: Einfach ein Gebäude zur Verfügung stellen, für das sich Studierende oder Gelernte bewerben können und wo sie Räume bekommen, um ihre Geschäftsideen zu testen und ihre Produkte herzustellen.